Werbeagenturen, das sind doch die, die auf jede Ethik pfeifen und dem Verbraucher Mist für Gold verkaufen. Dass es das in der Werbung gibt, lässt sich nicht leugnen. Dass es aber auch Agenturen gibt, die sich einer gesellschaftlichen Verantwortung stellen, ist ebenso Tatsache. Einem Herzensprojekt, ohne Etat und ohne Werbelüge, widmet sich bereits seit zwei Jahren Leonard Sommer: Der Agenturchef von Sommer + Sommer sammelt Ideen für die Schule von morgen. Im Rahmen von zwei Workshops auf dem Cannes Lions Festival präsentierte Sommer die wichtigsten Erkenntnisse der eigenen Forschung und rief Kreative aus aller Welt dazu auf, an der Vision der Schule des 21. Jahrhunderts aktiv mitzuarbeiten. Die Teilnehmer sollten neue Ideen entwickeln und die Initiative "Classroom Think Tank" inspirieren.
Quelle: https://www.wuv.de
Mit den gesammelten Visionen will Sommer gemeinsam mit der Werbebranche für einen "Wandel des maroden Bildungssystems" sorgen und "die Unterdrückung von Kreativität im Schulunterricht stoppen". Und zwar nicht etwa, weil es den Agenturen an talentiertem Nachwuchs mangelt. Sommer blickt über den Branchentellerrand. "Unsere Schulen sind nicht darauf vorbereitet, die nächste Generation heranzubilden. Das kreative Potenzial jedes Einzelnen zu entwickeln wird immer wichtiger. Kreativität ist wesentlicher Wertschöpfungsfaktor innerhalb der neuen Wirtschaftsformen des Innovationszeitalters", sagte der Kreative gegenüber W&V Online vor dem Cannes-Workshop.
Cannes-Workshop mit internationaler Besetzung: Classroom Think Tank von Sommer + Sommer.
Wie die Schule von morgen besser auf die Schüler eingehen und sie auf die Herausforderungen vorbereiten könnte, das wissen wir nun genauer, denn die Ergebnisse des "Classroom Think Tank" liegen vor, inklusive der Umfragen zum Thema, die Sommer + Sommer, Stuttgart, gemeinsam mit der Berlin School of Creative Leadership durchgeführt hat.
Der Wettbewerb um die besten Noten, der Zwang zur Konformität und ein proppenvoll gepackter Lehrplan seien die größten Hemmschwellen für kreatives Lernen an Schulen in der ganzen Welt. Außerdem ließen standardisierte Lehrmethoden kaum Freiraum für alternierende Lösungen und die oftmals trist erscheinenden Klassenzimmer lieferten keine inspirierende Arbeitsatmosphäre.
Das sagen die befragten Schüler. Zusätzlich zu dieser repräsentativen Befragung sprach Sommer in den vergangenen zwei Jahren mit Schülern, Eltern und Kreativen in Europa, den USA, China, Japan und Australien - und suchte nach praxisorientierten Lösungen.
Sommers Gesprächspartner und die Workshop-Teilnehmer sprudeln: "Ich würde mehr Leerzeiten in den Stundenplan einbauen", schlägt etwa Magnus Linqvist vor, Autor des Buchs "The Attack of the Unexpected". "Dann bliebe Zeit für Spielen, Denken und Langeweile", sagt Lindqvist.
"Wir müssen die Uhren loswerden", fordert Grant McAloon, CD von Leo Burnett in Sydney. "Einige Kinder sind eher fertig, die könnt en doch dann gleich in die nächste Schulstunde gehen. Andere brauchen mehr Zeit, die müssen wir doch nicht unter Druck setzen, damit sie rechtzeitig fertig werden. Die Schulklassen brauchen mehr zeitliche Flexibilität, um der Kreativität Raum zu geben."
Eine davon könnte sein, dass Lehrer, sagt Sommer, "die Rolle von 'Talent Coaches' übernehmen und Vermittler in einer Kultur kreativen Lernens werden" müssen, statt "Bewahrer der Konformität" zu bleiben. Das findet auch Keith Reinhard, DDB Worldwide-Vorstand a.D: "Anstatt Fakten und Theorien in die Köpfe der Schüler zu stopfen, sollten Lehrer sie herausfordern, kreative Lösungen für tatsächliche Probleme zu finden, Kinder kreativ anregen. Eigentlich müsste es wie in Agenturen sein: Da bedeutet kreative Stimulation, die Mitarbeiter mit abseitigem Denken und unkonventionellen Denkern zu konfrontieren - so sollte das auch in Schulen ablaufen." (Reinhards ganzer Beitrag hier.)
Entwickelt hat sich daraus das "Change Framework", ein Strategiemodell zur Förderung des kreativen Denkens an weiterführenden Schulen. Dieses stützt sich auf fünf Säulen, die er mit Ideen von Kreativen aus der ganzen Welt gefüllt hat: Organisations-Design, Lernkultur, Lehrerkompetenzen, Lehrmethoden und Bewertungssystem. "Stellt euch eine Schule vor, an der kein Abschluss von Lehrern vergeben wird. Stellt euch Schüler vor, die sich selbst bewerten und begründen müssen, warum sie sich mit einem Abschluss belohnen", sinniert Tom Hidvegi, Chief Strategy Officer von DDB in Budapest.
Wie man kreatives Denken an der Schule fördern kann: Sommer + Sommer.
Das "Lern-Ressourcen-Modell" (Inspiriert vom ehemaligen CEO von Google, Eric Schmidt) dient beispielsweise der Organisation der Schule der Zukunft: "Die Schulstunden werden konsequent strukturiert, und zwar in 50 Prozent zur reinen Wissensvermittlung, 30 Prozent für konkrete Projektarbeit und 20 Prozent für die Förderung individueller Talente", führt Leonard Sommer aus. "Das eine Kind will tanzen, das andere malen, das dritte interessiert sich für Technik. Sie alle sollen sich in diesen Bereichen verwirklichen dürfen und individuell gefördert werden", so Sommer. Speziell bei diesem Ansatz könnten die Ganztagsschulen eine wichtige Rolle übernehmen und den Kindern auf der Suche nach ihren Vorlieben freie Wahl lassen.
83 Ideenansätze sind inzwischen entstanden. Im kommenden Jahr sollen die besten Ideen gemeinsam mit Bildungsexperten und Innovatoren in den USA diskutiert werden. Durch die intensive Zusammenarbeit in Cannes haben sich Chancen ergeben, das Projekt international anzuschieben. So ist Sommer nicht nur mit Bildungsexperten und Kreativen in Kontakt, sondern auch mit der Stiftung International Child Art Foundation, die ihn im kommenden Jahr beim "World Children’s Festival" in Washington einbezieht. Ergänzend plant Leonard Sommer die Herausgabe eines Buches mit dem Titel "Classroom Think Tank". Langfristig will Sommer die Ideen bei namhaften Experten ins Gespräch bringen, damit sich etwas ändert.