In wenigen Ländern ist es schlechter um die Pressefreiheit bestellt als in Saudi-Arabien. Zum Symbol dafür wurde der Blogger Badawi, der zu 1000 Stockschlägen und langer Haft verurteilt wurde. Seine einzige Hoffnung ist der weltweite Zuspruch.

Von Sabine Rossi, ARD-Hörfunkstudio Kairo

Jeden Donnerstag steigt die Angst stärker als an anderen Wochentagen in Ensaf Haidar auf, denn am Freitag könnte es wieder so weit sein. Dann könnte ihr Mann, Raif Badawi, wieder öffentlich geschlagen werden. Vor einem Jahr hat ihn ein Gericht zu 1000 Stockschlägen, zehn Jahren Gefängnis und einer hohen Geldstrafe verurteilt - weil er im Internet seine Meinung geschrieben hatte, weil er den Blog "Saudische Liberale" gegründet hatte.

Badawi leidet, die Menschen applaudieren

Im Januar bekam Badawi die ersten 50 Schläge. Im Internet kursiert ein verwackeltes Video: Aufrecht steht Badawi vor einer Moschee in der saudischen Stadt Jeddah. Die Menschenmasse klatscht und jubelt bei jedem Schlag, der ihn trifft. Seitdem wurde die Strafe ausgesetzt - aus gesundheitlichen Gründen, wie es offiziell heißt.

 

Der saudische Blogger Badawi.

Ensaf Haidar ist die Einzige, die relativ regelmäßig Kontakt zu ihrem Mann ins Gefängnis hat. "Raif spricht nicht über seine Gesundheit und den Alltag im Gefängnis", erzählt sie. "Vielleicht, weil er nicht will, dass ich das weiß. An seiner Stimme höre ich, dass es ihm nicht gut geht, dass er erschöpft ist. Er leidet, weil er seine Kinder so lange nicht gesehen hat. Es gibt nichts, das ihm Hoffnung gibt." Außer der Zuspruch aus aller Welt.

"Die Öffentlichkeit schützt meinen Mann"

Dafür arbeitet Ensaf Haidar und davon erzählt sie ihrem Mann. Ihre Telefonate dauern oft nur wenige Minuten, mehr ist nicht erlaubt. Haidar sucht die Öffentlichkeit: Sie gibt Interviews, nimmt an Mahnwachen teil, hält Vorträge. Erst kürzlich erschien ein Buch mit Texten, die ihr Mann auf seinem inzwischen verbotenen Blog veröffentlicht hatte.

Ensaf Haidar ist überzeugt, dass die Öffentlichkeit Raif Badawi schützt, dass dadurch der Druck auf das saudische Königshaus erhöht wird. Bislang hat das Königshaus, das eng mit dem Klerus im Land verbunden ist, nicht eingelenkt. Wer wie Badawi in Saudi-Arabien liberale oder säkulare Werte fordert, sich dafür einsetzt, dass jeder seinem eigenen Glauben nachgehen kann, der gilt schnell selbst als Ungläubiger oder sogar als Ketzer.

 

 

 

 

 

 

 

 

Sein Fall sorgt weltweit für Empörung: Amnesty-International-Mitglieder protestieren vor der saudischen Botschaft in Wien für Badawis Freilassung.

Ensaf Haidar, die islamische Theologie studiert hat, ist sich sicher, dass die Texte ihres Mannes nicht den Islam beleidigen - auch wenn ihm das zur Last gelegt wird. "Wer die Texte aufmerksam liest und so versteht, wie Raif sie gemeint hat, wird darin nichts Falsches finden können. Seine Artikel waren nicht gegen eine bestimmte Sache, nicht gegen die Religion, gegen das Land oder gegen eine konkrete Person gerichtet."

Kaum Zustimmung in Saudi-Arabien

Doch das Königshaus und der Klerus fühlten sich angegriffen. Denn Raif Badawi setzt sich für eine moderne Lesart des Koran ein. Er spricht sich gegen die strikte Trennung von Mann und Frau in der Gesellschaft aus und fordert, den Einfluss der Religionsvertreter und ihrer Polizei zurückzudrängen.

In Saudi-Arabien trifft er mit diesen Ideen auf wenig Zustimmung - auch nicht bei Gleichaltrigen. Schätzungen zufolge sind etwa zwei Drittel der Einwohner Saudi-Arabiens jünger als 30 Jahre. Sie nutzen modernste Technik und schreiben ihre oft konservativen Ansichten in den Sozialen Medien. Auf Twitter kommentieren sie jede Neuigkeit und jede Protestaktion, die Ensaf Haidar veröffentlicht.

"Alles, was ich auf Twitter schreibe, ruft negative Reaktionen hervor", sagt Haidar. "Die Leute antworten 'Er hat es verdient' oder 'Er hätte eigentlich noch mehr bekommen müssen. Wer hat ihm überhaupt erlaubt, so einen Blog zu schreiben.'"

Doch das schüchtert Ensaf Haidar nicht ein. Ihrem Mann gehe es im Gefängnis schließlich noch schlechter. "Das ist es wert, damit Raif zu uns kommen kann, damit das Warten ein Ende hat. Denn das Warten ist sehr schwer."

 

Quelle:  https://www.tagesschau.de/ausland/tag-der-pressefreiheit-101.html